Zählen und Rechnen
Obwohl das römische Zahlensystem noch heute durch viele Anwendungen geläufig ist und zum Unterrichtstoff in der Schulmathematik gehört, erscheint es häufig umständlich in der Anwendung. Bei genauerer Betrachtung erweist sich dies allerdings nur als eine Frage der Gewohnheit. Das heute verwendete System der arabischen Zahlen ist ein Stellenwertsystem, d. h. ein System, in dem eine bestimmte Ziffer aus einem begrenzen Vorrat von Zeichen je nach ihrer Position innerhalb einer Zahl eine andere Wertigkeit bekommt. Im römischen System hat dagegen jedes Zeichen als solches eine bestimmte Wertigkeit. Zahlen werden deshalb lediglich aus der Aneinanderreihung von einzelnen Zeichen im Sinne ihrer Addition gebildet. Während im arabischen System in der Zahl 110 zweimal die Ziffer 1 mit unterschiedlicher Wertigkeit auftritt und dazu noch das an sich "wertlose" Null-Zeichen den Gesamtwert verändert, würde ein Römer einfach das Symbol für 100 (C) und das Symbol für 10 (X) hintereinander setzen. Auch heute würde man nichts anderes tun, wenn es sich um einen Betrag von 110 Euro handeln würde, den man aus einem 100-Euro-Schein und einem 10-Euro-Schein zusammenstellt. Unabhängig von der unterschiedlichen Schreibweise handelt es sich ansonsten bei beiden Systemen um ein Dezimalsystem.
Römische Zahlsymbole
Das römische Zahlensystem basierte auf den folgenden Zeichen mit den angegebenen Wertigkeiten:
I = 1 | V = 5 | X = 10 | L = 50 | C = 100 | D = 500 | M = 1000 |
Häufig wird angenommen, dass das Zeichen C vom römischen Begriff centum für 100 stammt und M von mille für 1000. Dies ist allerdings unzutreffend, da sich die Zeichen über einen längeren Zeitraum aus dem chalkidisch-griechischen Alphabet entwickelt haben, welches die Grundlage für das lateinische Alphabet war. Zudem ließen sich die anderen Zahlsymbole nicht auf analoge Weise erklären.
Beispiele zusammengesetzter Werte
IIII oder IV = 4
VIIII oder IX = 9
XXXXVIIII oder XLIX = 49
DCDLXLIX oder DCCCCLXXXXVIIII = 999
MDCLXVI = 1666
Werte, für die kein Grundsymbol existiert, werden durch die Aneinanderreihung von Zeichen erreicht, wobei ein Zeichen mehrfach vorkommen darf und die Zeichen mit absteigender Wertigkeit sortiert werden. Häufig wird in der Schule auch die subtraktive Bildung bestimmter römischer Zahlen gelehrt, also z. B. die Bezeichnung des Wertes 4 durch das Symbol für 5 (V) mit einer vorangestellten 1 (I) im Sinne von "5 - 1 = 4". Dies ist natürlich nicht frei erfunden, sondern durch viele Inschriften belegt. Dennoch entspricht es nicht der alltäglichen Handhabung der Zahlen. Ein Kaufmann oder Handwerker wird sich im täglichen Gebrauch kaum um eine derartige Darstellung gekümmert haben und eine 4 ganz selbstverständlich durch vier Einsen (IIII) ausgedrückt haben. Auch dies ist durch antike Quellen belegt. Die ausgefeiltere Schreibweise ist mehrheitlich auf Steininschriften zu finden. Vermutlich wurde sie aus ökonomischen Gründen verwendet, da ein Steinmetz für eine IV beispielsweise nur zwei Zeichen meißeln muss und nicht vier wie bei IIII. Zudem könnten auch ästhetische Gründe eine Rolle gespielt haben, da beispielsweise XIIX (statt XVIII) symmetrisch aussieht und zudem dem zugehörigen Zahlwort "duodeviginti" (= "Zwei weniger als Zwanzig") wörtlich entspricht.
Da es bei sehr großen Werten unhandlich war, viele Ms schreiben zu müssen, konnten Vielfache von 1000 auch dargestellt werden, indem das Symbol für die Zahl der Vielfachheit mit einem darüber gelegten Querstrich notiert wurde.
Rechnen mit römischen Zahlen
Aufgrund der oben erläuterten Bildungsweise für Zahlen ist das römische System nicht für die uns gewohnte Art des Rechnens geeignet. Dabei ist das System auch hier bei genauerem Hinsehen weniger komplex als angenommen. Es ist primär auf die Verwendung des Abakus ausgelegt, bzw. mit dem Abakus besonders leicht zu handhaben. Einen solchen Rechenschieber kann man entweder aus Metall oder Holz ständig mit sich führen, oder durch das Ziehen von Linien im Sandboden und der Verwendung von Steinchen als Markierungen schnell herstellen. Daher stammt auch der Begriff "kalkulieren", denn das ist die Tätigkeit, die man mit kleinen Kalksteinchen (calculi) ausführt.
Im römischen Abakus befinden sich für jede der Dezimalstellen zwei Spalten, eine mit vier Markern und eine mit einem. Die zwei Spalten sind übereinander angeordnet, die Dezimalstellen in gewohnter Weise nebeneinander, so dass sich ein Block von Spalten mit einem Mittelbalken ergibt. Um nun auf einer bestimmten Stelle einen Wert anzuzeigen, werden die nötige Anzahl von Markern in der entsprechenden Spalte an den Balken gelegt. Überzählige Marker werden weggenommen oder am anderen Ende der Spalte "geparkt". Die vier Marker der unteren Spalte geben dann jeweils das ein- bis vierfache des Dezimalwertes dieser Stelle an, die obere Spalte ist für die Anzeige des fünffachen zuständig. Diese Aufteilung der Anzeige auf zwei Spalten entspricht der Verwendung gesonderte Symbole für 5, 50 und 500.
Mit den Steinen kann nun mit Überträgen zwischen den Spalten Addiert und Subtrahiert werden. Am Ende der Rechnung kann das Ergebnis einfach abgelesen und niedergeschrieben werden, indem für jeden Marker, der am Mittelbalken liegt, das passende Zahlsymbol notiert wird. Multiplikationen und Divisionen konnten mit dem Abakus durch fortgesetzte Additionen und Subtraktionen durchgeführt werden, was allerdings zeitaufwändig sein konnte und große Sorgfalt erforderte. Ferner war es möglich, ein Verfahren analog zur heutigen schriftlichen Multiplikation und Division anzuwenden, wobei die Zwischenschritte nicht notiert und später verrechnet werden müssen, sondern sofort im Abakus zusammengerechnet werden können. Außerdem waren Multiplikationstabellen verfügbar, auf denen häufig benötigte Werte schnell nachgeschaut werden konnten.
Bruchrechnung
Um Bruchteile der 1 ausdrücken zu können, verwendeten die Römer ein normiertes System aus 1/12-Brüchen. Dieses 1/12 wurde uncia genannt und ist damit der direkte Vorläufer der "Unze", die in vielen alten europäischen Maßsystemen zu finden ist. Die Zahl der 1/12 konnte durch Punkte notiert werden, die wie die Augen auf einem Würfel angeordnet wurden, wobei für 1/2 ein S (für semis) geschrieben wurde. Auch auf dem Abakus ließ sich das System einfach verwenden, da dazu lediglich zwei zusätzliche Spalten für die Bruchstelle nötig waren, wobei die untere Spalte einen Marker mehr enthalten musste, um von 1/12 bis 5/12 zählen zu können, während die obere ggf. 1/2 anzeigte. Es war mit einem Abakus also möglich, gleichzeitig die Brüche im Zwölfersystem und die ganzen Zahlen im Zehnersystem zu zählen.